Haben Sie als Frau schon einmal ein Produkt gekauft, das explizit mit "Für Frauen" etikettiert wurde? Oder als Mann eines "Für Männer"? In der Marketing- und Werbepsychologie spricht man hier von identitätsbasierter Etikettierung, die eigentlich als sehr wirksam (im Sinne von verkaufsfördernd) gilt. Eine Analyse der Darden School of Business, University of Virginia, liefert überraschende Ergebnisse.
Rosafarbene Rasierer für Frauen, blaue für Männer. Robuste Flaschen mit einer Lotion, die als "Hautpflege für Männer" angepriesen werden, spezielle Shampoos für dunkelhäutige Frauen. Identitätsbasierte Produktetikettierungen findet man oft in der Werbung und in den Verkaufsregalen. Aber führen diese auch Erfolg?
Diese Frage stand hinter den Forschungsarbeiten von Tami Kim an der Darden School of Business, University of Virginia. Tami Kim hat zusammen mit Kate Barasz von der ESADE Business School und Leslie John und Michael I. Norton von der Harvard Business School den Artikel "When Identity-Based Appeals Alienate Consumers" verfasst, der die Ergebnisse der empirischen Analyse des Forschungsteams zusammenfasst.
Ein Kernergebnis sei vorweggenommen: Appelle, die nur auf eine (einzige) Identität abzielen, führen oft zu einer Entfremdung der Zielverbraucher in Randgruppen. Doch was bedeutet dies konkret?
Beim Versuch, ein Produkt an Frauen zu vermarkten, mag es laut Tami Kim und Kolleg:innen auf den ersten Blick logisch erscheinen, das Produkt als "Für Frauen" zu kennzeichnen und eine Farbe zu wählen, von der stereotyp angenommen wird, dass sie Frauen anspricht, wie z.B. Rosa oder Lila. Jedoch kann festgestellt werden, dass solche Appelle Frauen eher abschrecken. Der gleiche Effekt ist auch bei anderen Zielgruppen, die mit ähnlich eindimensionalen Etikettierungen angesprochen werden, erkennbar.
In einer ersten Studie wurde analysiert, wie sich Verbraucher:innen gegenüber identitätsetikettierten und nicht etikettierten Produkten verhalten. Den Proband:innen wurde ein grüner Taschenrechner und ein lila Taschenrechner vorgelegt. Für einige Frauen in der Studie war der lila Taschenrechner als "für Frauen" gekennzeichnet, was das Stereotyp hervorrief, dass Frauen lila mögen. Für einige Männer war der grüne Rechner mit "für Männer" beschriftet. Obwohl zu Beginn der Studie mehr Frauen den lilafarbenen Taschenrechner ohne Identitätskennzeichnung bevorzugten, entschieden sich weniger Frauen für das Produkt mit Identitätskennzeichnung. Das Etikett schreckte die Verbraucher:innen ab, die das Produkt sonst vielleicht gekauft hätten.
Nachfolgende Studien ergaben, dass der Effekt vor allem bei den Menschen am stärksten war, die sich von ihren Gruppen ausgegrenzt fühlten, sowie bei Menschen, die das Gefühl hatten, dass ihre Gruppen durch Stereotypen ins Visier genommen wurden, wie z.B. bei der "weiblichen" Farbe Lila.
Eine andere Studie, auf die sich das Forschungsteam bezieht, wurde während der Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA durchgeführt. Die Studie ergab, dass Frauen eine Wahlkampf-Rhetorik ablehnten, die ihnen nahelegte, dass sie für Hillary Clinton stimmen sollten, weil sie eine FRAU ist. Hieraus kann für das Marketing gefolgert werden, dass Vermarkter vor allem Appelle vermeiden sollten, die auf einer einzigen Identität oder einem Stereotyp basieren – selbst wenn dieses Stereotyp nicht negativ belegt ist.
Anstatt sich auf eine einzige Identität zu konzentrieren, stellte das Forschungsteam die Hypothesen auf, dass identitätsbasierte Appelle in der Werbung und im Produktmarketing dann am effektivsten sind, wenn sie 1) mehrere Identitäten umfassen und / oder 2) den einzigartigen Nutzen oder Wert des Produkts widerspiegeln.
Um die erste Hypothese zu testen, präsentierte das Team asiatischen Verbraucher:innen verschiedene Flaschen Speiseöl mit Ingwer-Knoblauch-Geschmack. Eine Flasche enthielt keinen Hinweis auf die Identität des Produkts, eine Flasche trug das Etikett "für Asiaten" und eine Flasche das Etikett "für Asiaten und Feinschmecker". Diejenigen, die das Etikett "für Asiaten" sahen, waren deutlich weniger an dem Produkt interessiert, während diejenigen, die das Etikett mit mehreren Identitäten sahen, ungefähr genauso interessiert waren wie diejenigen, die kein Etikett sahen. Diese Gruppen fühlten sich in dem jeweiligen Geschäft auch eher willkommen und sicher.
Das Forscherteam begründet dieses Ergebnis wie folgt: Die Berufung auf mehrere Identitäten vermeidet, dass sich die Verbraucher aufgrund ihrer Nationalität, ihres Geschlechts oder anderer Identitätsmerkmale ausgeschlossen fühlen, und entspricht eher unserer sozialen Realität und unserem Selbstverständnis. Menschen gehören mehreren sozialen Identitäten und Gruppen an und identifizieren sich mit diesen. Appelle, die nur eine Identität ansprechen, spiegeln diese Tatsache nicht wider.
In einer Abschlussstudie testete das Forscherteam bedürfnisorientierte Identitätsappelle, die vor allem dann im Marketing eingesetzt werden, wenn ein Produkt speziell auf die Bedürfnisse einer bestimmten Gruppe zugeschnitten ist. Es wurde dabei festgestellt, dass diese Appelle – wie z. B. die Kennzeichnung eines Shampoos als sulfatfrei speziell für dunkelhäutige Frauen, die von dieser Formulierung besonders profitieren – diese Kundinnen nicht entfremdeten, sondern sie eher dazu brachten, das Produkt zu kaufen. Das Marketing dockte hier an die Bedürfnisse und Erfahrungen der Verbraucher:innen exakt an und war nicht auf einen (einzigen) Stereotyp ("Frau", "Mann", "junge Leute" etc.) zugeschnitten.
Die Empfehlung der Forscher:innen aus den Untersuchungen lautet:
Das Wichtigste ist es, den Kunden (insbesondere die wahren Kundenbedürfnisse) zu kennen. Dies wird im Business leicht ausblendet. Die eigenen Zielkunden wirklich zu kennen und zu respektieren, kann bedeuten, auf Etikettierungen ("Für …") generell zu verzichten und sie wegzulassen, wenn sie nicht notwendig sind. Wenn Etikettierung notwendig sind, dann sollte man sich darauf konzentrieren, mehrere Identitäten anzusprechen oder das Etikett / den Appell auf ein bestimmtes, praktisches Bedürfnis zu gründen. Denn dann können die Verbraucher besser darauf vertrauen, dass das Produkt (bzw. das Marketing) einem echten Interesse am Kunden entspricht.
Titelbild: Tami Kim, Assistant Professor an der Darden School of Business, University of Virginia
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